Freilichtspiele Lana

"Der Selbstmörder" in Lana

Stalin ließ das Stück 1928 verbieten, erst 1969 kam es zur Uraufführung. Nicht ohne Grund. „Der Selbstmörder“ von Nikolai Erdman bei den Freilichtspielen in Lana.

"Der Selbstmörder" in Lana
Freilichtspiele Lana
Simon Podsek ist im permanenten Urlaub.

Arbeitslos.
 
Zwangsurlaub im Pyjama. Die Gummibaumpalme, das Einzige was ihm gehört im Haushalt mit seiner Frau, ist zu klein, um Schatten zu spenden für den Gestrandeten, die Hose hängt ihm wie ein schlaffes Segel um die Lenden. Im Ehebett träumt er von Leberwurst, diesem verzweifelten Surrogat des abhanden gekommenen Lebenssinns des talentlosen Herrn Podsek.
 
Dieser Podsek muss erst sterben, um zu leben. Und wie er stirbt, das zeigen die Freilichtspiele Lana mit „Der Selbstmörder“ von Nikolai Erdman, einem Stück mit ironischen Windungen in einer geradlinigen Inszenierung von Stefanie Nagler, die Podseks Leber-Lebens-Wurst gewissermaßen gradbiegt. Ohne großes Risiko in Richtung vertikal aufgebahrtem Podsek.
 
Das passiert reduziert inszeniert auf einer Bühne in unfein gespanntem Strand-und-Totentuch (Sara Burchia) und bisweilen schön bemessen, etwa wenn Markus Oberrauch seinen Podsek über den Moment des Kopfschusses sinnieren lässt, zerfließend im harten Maß der Zeit, während Arnold Zöschg sanftpräzise die Einheiten der festlichen Selbstmordtafel deckt.
 
Denn sie haben was zu feiern: die anschmeißende Ideologin (Karin Verdorfer), der grunzende Fleischhändler mit schwarzem Fuchs (Stefano Marcello), der marschierende Ästhet und Schriftsteller (Dietmar Gamper), die Influencerin ein schwarzes Loch (Nadia Schwienbacher) und der Moralapostel (Johann Lösch), der in Lana das Geschäft mit seiner Moral nur auf dem Klo machen kann. Denn die Typen dieser ganzen vampirischen Bande in spitzen Schuhen und gierigem Schwarz und Weiß (Kostüme von Ursula Tavella) drängen Podsek zum Selbstmord -  um diesen Selbstmord Podeks als Marketing und Propaganda für sich zu nutzen, für mehr Follower, mehr Kunden, mehr Macht.
 
Und was könnten diese Masse-Macher leichter instrumentalisieren als den Sinnverlust der Gestrandeten und die Paranoia der Verlierer? Wenn Podsek aus seinem Sousaphon - das sich wie ein schmuck gewundener Galgen um seinen Hals legt - keinen Ton herauskriegt und kein Leberwurstbrot zu streichen imstande ist, dann sieht er die Ursache seines Unvermögens in seiner Frau (Andrea Haller).
 
Dass diese Paranoia des Verlierers tatsächlich zu einem Selbstmord-Komplott wird, dass die Propaganda-Beschwörungen beim Begräbnis zu echten Gefühlen werden und dass der Ausgenutzte einen Nutzen hat, das gehört zu den großen ironischen Windungen des Stücks.
 
Podsek aber muss sich erst vom Ungeziefer zum Diktator saufen, bis er sich nicht mehr als Zweck für die Masse sieht, sondern nach dem Sinn der eigenen Existenz fragt. Dieses Leberwürstchen namens „Wozu leben?“ hat es in sich.  

​"Der Selbstmörder" von Nikolai Erdman bei den Freilichtspielen Lana, noch bis 26. Juli.  


Lukas Bertagnolli (lb)