Renner: Flucht ins Okkulte wächst

In Südtirol finden Sekten laut Don Paolo Renner immer größeren Zuspruch: Schwarz-Weiß-Darstellungen von Gurus sind verständlicher als Komplexes.

Renner: Flucht ins Okkulte wächst
Pixabay
Fünf Frauen wurden vor Weihnachten im Tauferer Ahrntal verhaftet. Wie verschiedene Südtiroler Tageszeitungen berichten, wurden die Frauen schon einige Wochen beobachtet. Die Sozialdienste hatten Alarm geschlagen. Die Ermittler konnten offenbar diverse Fälle psychischer Gewalt gegen Kinder dokumentieren. Die Vorfälle werden in Verbindung mit einer Sekte gebracht, die sich Neuchristen nennen. Dass Menschen sich von Sekten angezogen fühlen ist nichts Neues, auch nicht in Südtirol. Dass diese Tendenz zunimmt offenbar schon. 

Okkulte Riten verständlicher als komplexe Realität

Die Sozialdienste halten sich bedeckt, der Bürgermeister von Sand in Taufers Josef Nöckler erklärt, in seiner Gemeinde keine Auffälligkeiten bemerkt hat. Er sei erschüttert, dass die Mütter ihre Kinder offenbar zu okkulten Riten gezwungen und damit unfassbares Leid zugefügt haben. Mehr könne er jedoch nicht sagen, ermitteln würden die Carabinieri, sagt Nöckler. Aber was tut sich da in Südtirol? Sie schicken ihre Kinder nicht in die Schule, sie schließen sich zu neuen Gruppierungen zusammen, wenden sich von den christlichen Religionen ab. Einzelfälle oder eine Tendenz? Es gibt immer mehr Menschen auch in Südtirol, bei denen man einen "Autoritätsverdruß" bemerkt, sagt der Theologe und Seelsorger Don Paolo Renner. Was von oben kommt, werde missachtet und rege zu Ungehorsam an - das beziehe sich auf die unterschiedlichsten Bereiche, erklärt Renner.  Immer mehr Leute würden schwarz-weißen Darstellungen von Gurus eher vertrauen als komplexen Erklärungen, mit denen viele überfordert seien. So fühlten sich auch viele mit den vielschichtigen Erklärungen der Wissenschaft zur Coronapandemie überfordert.

Renner: "Entwicklung zu wenig ernst genommen"

Was macht Gurus vertrauenswürdiger als die christliche Kirche, die Gemeinde- oder Landespolitik oder auch die Schule? Zum einen habe das etwas mit der Sprache zu tun, meint Renner. Einfach, nachvollziehbar Schwarz oder Weiß, zum anderen natürlich damit, dass Menschen über die sozialen Medien viel leichter zu erreichen sind. Die Krise der Autorität, die bereits in den 1968 Jahren begonnen habe, sei nun auch in Südtirol angekommen. 

Diese Entwicklung sei zu lange nicht ernst genommen worden. Der Boden hierfür werde durch die gesellschaftliche Entwicklung seit Jahren gedüngt, betont Renner. Damit treffe die Gesellschaft an sich eine Teilschuld, unterstreicht Renner.
Durch die Leistungsgesellschaft  würden wir zunehmend verlernen kritisch zu denken und dadurch immer öfter Gefahr laufen in  Fallen zu treten. 

Bereits in Schulen sollte das Nachdenken besser gefördert werden, als das Abrufen von Leistung. Es bestehe "Erklärbedarf",  auch die Politik müsse sich mehr anstrengen. Auf Menschen zugehen, um das Vertrauen zurück zu gewinnen. Schon Kindern müsse beigebracht werden, dass sie sich äußern dürfen, das sei ganz wichtig, um zu verhindern, dass sie als Heranwachsende und Erwachsene nicht abdriften. Und im Falle der aktuellen Fälle von mutmaßlichem Kindesmissbrauch heißt es: nicht nur Denken lernen, sondern mehr Mut, mehr Dialog, auch mehr Zivilcourage.

ka/ ge