Nach Lawinenabgang

Überlebender berichtet von den Stunden unter der Lawine

Vor einer Woche war der 54-jährige Carluccio Sartori am Setsass von einer Lawine mitgerissen worden. Nun erzählt er, wie er die 20 Stunden im Schnee überlebte.

Überlebender berichtet von den Stunden unter der Lawine
Ansa
Der 54-jährige Tourengeher Carluccio Sartori hatte vergangene Woche unbeschreiblich großes Glück. Er überlebte einen Lawinenabgang am Setsass im Gadertal und 20 Stunden in den Schneemassen. Seit seiner Rettung am Freitag wird er auf der Intensivstation des Bozner Krankenhauses behandelt. Dort schilderte er, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Ansa, wie er die lange Zeit im Schnee überlebte.
 
Ein Loch im Schnee, ständige kleine Körperbewegungen und die große Anstrengung bei Bewusstsein zu bleiben, diese Faktoren hätten ihm schlussendlich das Leben gerettet, davon ist der Tourengeher Sartori überzeugt. Am schlimmsten seien die ersten Minuten nach dem Lawinenabgang gewesen und die Nacht, die er eingeklemmt im Schnee verbrachte.

„Solange die Lawine in Bewegung war, versuchte ich die Muskeln anzuspannen, denn ich hatte Angst, dass ich mir ein Bein oder einen Arm brechen könnte. Sobald die Schneemassen dann zum Stillstand kamen, waren meine Beine und der linke Arm blockiert.“

Carluccio Sartori

Seinen rechten Arm streckte der Mann gleich nach oben und er bemerkte, dass er die Oberfläche erreichte. Mit kleinen Drehungen schaffte er es, laut eigenen Angaben, einen Trichter für die Luftzufuhr auszuhöhlen. Dann habe er um Hilfe geschrien.

„Ich kann mich an alles erinnern, aber ich bin noch nicht bereit, es zu erklären.“

Carluccio Sartori

Er könne sich genauestens an die 20 Stunden im Schnee erinnern, sagte Sartori beim Interview im Krankenhaus. Allerdings sei es nicht leicht zu erklären, was sich bis zu seiner Rettung in seinem Kopf abspielte, dafür sei er wohl noch nicht bereit. „Zum Glück, du kannst atmen. Das war mein erster Gedanke. Mein zweiter Gedanke war, dass ich unter allen Umständen bei Bewusstsein bleiben muss“, so schilderte Sartori die Stunden im Schnee. 

Seine Smartwatch, mit der er vielleicht hätte einen Notruf absetzen können, befand sich am linken Arm, der vom Schnee eingeklemmt war. Die Uhr mit der rechten Hand zu erreichen, gab der 54-Jährige bald auf. Er konzentrierte sich darauf, den Körper leicht zu bewegen und mit seinem Atem die Lufthöhle im Schnee aufzuwärmen.

"Ich konnte die Sterne und den Großen Wagen sehen." 

Carluccio Sartori

In den langen Stunden allein im Schnee bemerkte Sartori den Einbruch der Dunkelheit, er bemerkte aber auch, dass sich die Schneemassen weiterhin etwas bewegten. Seine große Angst war, dass dadurch die Öffnung im Schnee, die seine Sauerstoffzufuhr sicherstellte, kleiner werden könnte. Sartori behielt die Öffnung ständig unter Beobachtung und versuchte sie mit dem rechten Arm weiter zu vergrößern. So habe er die Sterne und den Großen Wagen erkennen können, berichtete der Mann aus Rovigo.
 
Die Kälte war unbeschreiblich, sagte Sartori. Seine größte Angst war, dass sein Herz die Extremsituation nicht so lange durchhalten könnte. Seinen Erinnerungen zufolge hatte der Mann einen stark erhöhten Puls. Bei Tagesanbruch schöpfte der Tourengeher dann neuen Mut. Er war sich sicher, dass er nun gefunden werde. Er habe weiterhin kleine Bewegungen gemacht und versucht nicht einzuschlafen.
 
Erst sobald er die Bergretter gehört und gesehen hatte, erlaubte er sich eine Pause: „Da war mir klar, dass ich in Sicherheit bin. Ich konnte mich entspannen und habe von meiner Rettung nichts mitbekommen. Ich kann mich erst wieder daran erinnern, wie ich hier im Krankenhaus aufgewacht bin.“ Jetzt gehe es ihm gut, sagte Sartori: „Hier werde ich optimal versorgt, es könnte nicht besser sein. Am schlimmsten hat es die rechte Hand erwischt, sie bereitet mir noch Probleme.“

Laut dem Primar der Landesintensivstation Bozen, Marc Kaufmann, sei der Körper des 54-Jährigen langsam wieder aufgewärmt worden. Dafür wurden die Funktionen von Herz und Lunge zeitweise von Maschinen übernommen. Die gute körperliche und psychische Verfassung der Mannes seien ausschlaggebend für sein Überleben im Schnee gewesen, sagte Kaufmann.

Ob er wieder eine Skitour machen werde, darauf wollte der 54-jährige Sportler nicht antworten.

et