Pallaver: "Sonderweg in die dunkelrote Zone"

Die Infektionen der letzten Wochen haben Südtirol in die (dunkel-)rote Zone geführt. Welche politische Dynamik ist dafür verantwortlich?

In der Pandemie fällt auf, dass es so gut wie keinen politischen Diskurs über einen Südtiroler Sonderweg gibt. Der Politikwissenschafter Günther Pallaver stellt fest, dass es in vielen Orten so ist, dass in der Pandemie die Hoheit über den Diskurs bei der Regierung liegt. Auffallend ist jedoch, dass Medien und vor allem die Opposition diesen Diskurs mittragen.

Im Frühjahr war es aber gerade die Opposition, die einen Südtiroler Sonderweg gefordert hat. Ist sie deshalb jetzt still?
Wir haben es derzeit mit einer Medikalisierung der Politik zu tun, also mit einer Konzentration auf die Gesundheit. Das überlagert alles. Die Opposition könnte aber das Vorgehen kritisieren.

"Südtirol ist nicht Italien". Gilt das Motto der Südtiroler Freiheit für die gesamte Politik?
Der Sonderweg, den wir eingeschlagen haben, grenzt uns von anderen ab. Wir sind besser als Italien. Wir sind der Pandemie weniger ausgesetzt. Ich habe den Eindruck, dieser Sonderweg hat uns wie Schlafwandler in die dunkelrote Zone geführt. Pandemie bedeutet weniger Sonderweg, sondern bedeutet Solidarität, ist weniger ein nationales oder europäisches, sondern ein globales Problem. Der Begriff des Sonderwegs, glaube ich, hat mehr geschadet als genutzt.

In Bayern fährt Markus Söder einen harten Kurs. Seine Beliebtheitswerte sind hoch. Warum ist die Lage in Südtiroler eine andere?
Wir ziehen keine harte, eindeutige Linie durch. Wir legen von Woche zu Woche eine neue Linie fest. Das hat Auswirkungen auf die Vertrauenswürdigkeit der Landesregierung.

Wie erklären Sie, dass Landeshauptmann Kompatscher Gesundheitslandesrat Widmann als sehr wirtschaftsnah kritisiert hat?
Landeshauptmann Kompatscher hat über längere Zeit versucht, strengere Maßnahmen durchzusetzen. Ich habe den Eindruck, dass der Gesundheitslandesrat mehr den Wirtschaftslandesrat spielt. Derzeit habe ich den Eindruck, dass die wirtschaftlichen Interessen dominant sind und Warnrufe weniger gehört werden.

Man hatte den Eindruck, der Landeshauptmann kämpfte gegen die Wirtschaftslobby an. Ist er damit gescheitert?
Man gewinnt diesen Eindruck. Der Druck der Wirtschaft und der Lobbys in der Landesregierung ist groß. Er hat möglicherweise wenig Spielraum, sich durchzusetzen. Das ist bedauerlich. War das doch ein Gegenpol gegen die massiven Interessen der Wirtschaft.

mk/pm