Ötzi war hart an der Grenze

Nur knapp wurde Ötzi zu einem Südtiroler. Erinnerungen an einen Grenzstreit, der es in sich hatte.

Es sind nicht viele Meter, die der Fundort der berühmten Gletschermumie von Österreich entfernt ist. Das ergaben damals offizielle Messungen bald nach dem Auffinden. Juristisch war die Sache damit entschieden und Ötzi wurde schließlich nach Südtirol transferiert. Doch in Wien wurde in der Folge weiter über diesen Grenzstreit beraten. Eine brisante Angelegenheit, die letztlich aus politischen Gründen genauso aufs Eis gelegt wurde wie Ötzi, der Grund für das Ganze.

Die Sache mit der Grenzwertigkeit

Am 2. Oktober 1991, 2 Wochen nachdem die Gletscherleiche vom Eis freigegeben war, befand eine österreichisch-italienische Kommission vor Ort, am Hauslabjoch, dass der mit Fotos festgehaltene Fundort eindeutig auf italienischem Staatgebiet liegt. Genau: 92,55 Meter von der Grenze entfernt. Der Homo Tirolensis war somit ein Homo Südtirolensis. Doch geklärt war die Sache damit noch nicht. Die Ötztaler waren seit Tagen aktiv, um das zunächst nach Innsbruck an die Uni geführte wertvolle Streitobjekt für sich zu reklamieren. Dem von der Gemeinde Sölden beauftragten Anwalt Andreas Brugger wurde zugetragen: Das Schmelzwasser am Fundort fließe nach Norden ab: Ötzi lag nördlich der Wasserscheide, nördlich jener natürlichen Grenze, die der Vertrag von St. Germain 1919 als Staatsgrenze bestimmt hatte. Das Problem dabei: als hier seinerzeit, 1923 die Grenzsteine eingesetzt wurden, war die Stelle vergletschert, keine Wasserscheide zu sehen.

Der Fundort, ein Meilenstein

Dass die Grenzlinie nicht der Wasserscheide entsprach, zeigte sich erst im warmen Herbst 1991, als Ötzi zum Vorschein kam. Was tun?  fragten sich im Dezember 1991 zehn Männer im Wiener Wirtschaftsministerium: Sollte Österreich rechtlich vorgehen? Diesen Grundlagenirrtum beeinspruchen? Man ließ davon ab: Es wäre wegen der Südtirol-Autonomieverhandlungen ein falsches Signal. Und zudem wollte Österreich in die EU.

Ötzi verschiebt Grenze

Was dann folgte hat Seltenheitswert: Die Außenminister Mock und Andreatta reformierten 1994 die Grenzregelungen zwischen Österreich und Italien. Nun gilt: Wo die Grenze von der Wasserscheide oder einer Kammlinie bestimmt ist, folgt sie „den natürlichen Veränderungen dieser Linie". Inkludiert sind damit auch die Veränderungen von Gletschern. Öffentlich kaum bemerkt trat das Abkommen 2006 als Staatsvertrag in Kraft. Seither gilt: Die Brenner-Grenze kann sich auch natürlich verschieben.
 
(bs/zb)