Kommentar

Für 600 Euro

Südtirols Politik, die sich stets besser als die „Furbi” in Rom wähnte, hat ihren moralischen Kredit verspielt, meint Chefredakteurin Kessler.

Für 600 Euro
Rai Tagesschau
Je nach Persönlichkeit haben die ertappten 600-Euro-Sünder recht unterschiedlich reagiert. Der Oppositionsvertreter Paul Köllensperger trat die Flucht nach vorne an und zog sich das Büßerhemd an. Die Kollegen von der SVP waren trotziger.
Der Hotelier Helmut Tauber verwies auf seine Einbußen als Unternehmer. Der ehemalige Chef der Handwerker Gert Lanz suchte leicht weinerlich die Schuld beim Steuerberater. Am weitaus originellsten fiel die Reaktion des Landwirts und Landesrats Arnold Schuler aus. Dass Schuler um die 600-Euro-Spende des Staates ansuchte, kann ohne Mühe als Beweis dafür hergezogen werden, dass Südtirols Politiker endgültig im System Italien angekommen sind. Schuler drehte den Spieß aber einfach um und sprach von einer Protestaktion. Darauf muss man erst einmal kommen.
 
So unterschiedlich wie die Reaktionen der einzelnen Persönlichkeiten werden auch die Konsequenzen sein, mit denen sie und ihre Parteien rechnen müssen. Ob Paul Köllensperger diesen Fauxpas politisch überlebt beziehungsweise überhaupt überleben will, scheint ungewiss. Moralische Integrität ist gerade für einen Oppositionspolitiker das höchste Gut. Und das hat Köllensperger vorerst verspielt. Die Überlebenschancen des Team K sind ungewiss.
 
Das Überleben der SVP steht hingegen nicht auf dem Spiel. Wohl aber wird es zu Verschiebungen im labilen Machtgefüge der Partei kommen. Mag der Hinterbänkler und bisher höchstens als Lobbyist aufgefallene Tauber auch kaum zählen, so tun es Schuler und Lanz umso mehr. Der stellvertretende Landeshauptmann Schuler ist einer der engsten Vertrauten des Landeshauptmanns. Man erinnere sich an die Reaktion von SVP-Obmann Achammer als Landeshauptmann Kompatscher den ehemaligen Durnwalder-Kritiker Schuler und nicht ihn, den Parteiobmann, zum Stellvertreter wählte. Die Revanchegelüste, die sich jetzt einstellen, kann man sich leicht vorstellen.
 
Auch der schon durch sein unternehmerisches Missgeschick geschwächte Gert Lanz gilt als Vertrauter Kompatschers. Die Position des Landeshauptmanns ist durch den Fehlgriff seiner Getreuen zumindest geschwächt.
 
Weit schwerer aber wiegt, dass die Politik knapp vor den Gemeindewahlen und mitten in der Coronakrise weiter an Glaubwürdigkeit verloren hat. Gerade in der derzeitigen Krise ist es unabdingbar, dass die, die die Marschroute vorgeben, glaubwürdig und integer sind. Der Stellvertreter des Landeshauptmanns und der wichtigste Oppositionspolitiker sind das nicht mehr. Und das wegen 600 Euro.

Heidy Kessler, Chefredakteurin